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(Bau-)Kultur faszinierend einzigartig

Ein wegweisendes Bauwerk der Ingenieursgeschichte


Das 19. Jahrhundert war geprägt von wirtschaftlichem und technologischem Fortschritt. Insbesondere der Aufbau eines flächendeckenden Eisenbahnnetzes hatte eine entscheidende Bedeutung für die ökonomische Entwicklung. Die Eisenbahn revolutionierte den Transport von Waren und Menschen. Sie ermöglichte den schnellen und effizienten Austausch von Gütern über weite Entfernungen.

Die Dömitzer Eisenbahnbrücke ist ein Zeugnis der hohen Ingenieurskunst in dieser Zeit. Nur wenige Jahre vor Baubeginn, im Jahre 1864, wurde zum ersten Mal eine Weser-Brücke mit einer Trägerkonstruktion ausgestattet, die von dem Bauingenieur Johann Wilhelm Schwedler entwickelt worden war.

Schwedlers Theorie basierte auf der Idee, dass Brückenbalkensysteme aus einer Kombination von geraden und gekrümmten Balken bestehen sollten, um eine optimale Tragfähigkeit und Stabilität zu gewährleisten. Er argumentierte, dass gerade Balken die vertikalen Lasten tragen, während gekrümmte Balken die horizontalen Kräfte aufnehmen sollten.

Diese neue Herangehensweise an die Konstruktion von Brückenbalkensystemen war bahnbrechend. Vor Schwedlers Untersuchungen wurden Brücken in der Regel aus geraden Balken zusammengesetzt, was zu einer ineffizienten Verteilung der Lasten führte. Die Bauart mit „Schwedlerbögen“ verbreitete sich rasant und wurde bald weltweit eingesetzt – so auch bei der Dömitzer Eisenbahnbrücke.

Schwedler war selbst nicht am Bau in Dömitz beteiligt, aber seine Konstruktionsentwürfe wurden als Grundlage benutzt. Auch die Länge der Brücke war eine ingenieurtechnische Herausforderung: Statt kleiner Flutüberbauten sahen die Planer zwölf große Überbauten mit einer Spannweite von 64 Metern nebst einer Drehbrücke vor. Stolz verkündete der Hauptplaner Friedrich Neuhaus, dass sein Entwurf mit 2528 Fuß (793,41 m) um 128 Fuß (14,17 m) länger sei als derjenige der 1871 eröffneten Brücke der (Magdeburg-Halbertädter-Eisenbahngesellschaft (MHE) in Hämerten. Letztendlich wurde die Brücke sogar 1050 m lang und war damit die zweitlängste Eisenbahnbrücke in Deutschland.

Das Vorbild: Die Weserbrücke bei Hämerten

Die von der Konkurrenzfirma MHE weiter flussaufwärts gelegene Brücke bei Hämerten galt zu der Zeit als Vorbild für den Brückenbau. In Hämerten war die neue Technik der Luftdruckfundierung für die Gründung der Strompfeiler eingesetzt worden. Auch andere Bauelemente der Hämertener Brücke wurden vom preußischen Kriegsminister zur Vorgabe der Genehmigung gemacht, wie zum Beispiel der Einbau einer Drehbrücke „so wie in Hämerten“. Die in Dömitz gebauten großen Bogensehnenträger nach dem Prinzip Johann Wilhelm Schwedlers sind mit denen in Hämerten konstruktiv vergleichbar.

Auch die Wachhäuser in Dömitz gehen auf Vorbilder der flussaufwärts gelegenen Brücke zurück. Mit dem Bauunternehmen Johann Caspar Harkort hatten die Auftraggeber eine Firma gefunden, die dort bereits Erfahrungen gesammelt hatte. Mit seiner Entwicklung eines Luftdruck-Senkkastens für die Pfeilergründung hatte sich der Ingenieur Ludwig Brennecke einen Namen gemacht. Auch er wurde in Dömitz tätig.

Planzeichnung des Brückenkopfes von 1871   Bildrechte: Machbarkeitsstudie, Privatsammlung
Planzeichnung des Brückenkopfes von 1871
Bau eines Senkkastens (Caisson) an einer Rheinbrücke bei Hamm (um 1869)   Bildrechte: Deutscher Photograph um 1869, Public domain, via Wikimedia Commons
Bau eines Senkkastens (Caisson) an einer Rheinbrücke bei Hamm (um 1869)
Untersicht auf die offene Konstruktion   Bildrechte: Ralf Pohlmann
Untersicht auf die offene Konstruktion

Für Preußen ein strategisch wichtiges Bauwerk

Die Anzahl der zu bauenden Brückenbögen musste im weiteren Planungsverlauf reduziert werden, da es aufgrund des Krieges mit Frankreich zu Materialknappheiten gekommen war. Man entschied sich, die geplanten 20 großen Überbauten zu verringern und diese durch zusätzliche kleinere Bögen zu ersetzen.

Einen Feindangriff hatte der preußische Kriegsminister schon in der Planungsphase (1868/1869) mitgedacht und deswegen in der Baugenehmigung einige Bedingungen gestellt.

So sollte die Brücke „höchstens 2000 Schritt von der Citadelle Dömitz“ entfernt sein und eine Drehbrücke ähnlich wie bei der Brücke in Hämerten eingebaut werden. Zwei Strompfeiler mussten mit Demolitionsminen versehen und die beiderseitigen Zugänge durch miteinander verbundene (tambourartige) Wachblockhäuser gesichert werden.

In der Zweigbahnkonzession vom Juni 1870 hieß es außerdem, die Brücke dürfe nur nach ausdrücklicher Genehmigung des preußischen Kriegsministeriums errichtet werden. Die Entwurfsvorlage für die Wachblockhäuser mit Tambour kam demnach direkt vom preußischen Kriegsministerium.

Unklar bleibt, welche Zusatzkosten durch die militärischen Auflagen entstanden. Die Gesamtkosten eines Landpfeilers wurden mit 36.000 Talern an. Im Voranschlag für sonstige Bauten ist eine Summe von 145.000 Talern genannt. Darin sind die Kosten für die militärische Befestigung enthalten.

Die Bauzeit – In drei Jahren zur fertigen Brücke

Mitte 1871 waren die planerischen Vorarbeiten für die eisernen Überbauten und die Befestigungsbauten abgeschlossen. Der Deutsch-Französische Krieg hatte jedoch zu einer Materialkrise geführt. Längere Bleche und profilierte Schmiedeeisenteile waren nicht mehr zu bekommen. Es musste umgeplant werden: Nun waren nur noch vier große Überbauten mit einer Stützweite 67,8 m vorgesehen und 20 kleine mit einer Stützweite von 33,9 m.

Die gesamten Bauarbeiten dauerten drei Jahre. Vier Monate brauchte man allein für den Aufbau von zwei eisernen Stromüberbauten. Am 15. Dezember 1873 erfolgte die landespolizeiliche Abnahme „mit einem ordnungsmäßig zusammengesetzten Eisenbahnzuge“ durch acht Beamte, Regierungsvertreter und Bürgermeister. Der Betrieb der ersten Teilstrecke der Zweigbahn auf dem Abschnitt Wittenberge-Dömitz-Dannenberg/Ost-Hitzacker konnte beginnen.

Auf der Brücke hatte die BHE, entgegen dem Rest der Strecke, einen zweigleisigen Betrieb eingerichtet, der es ermöglichen sollte, Züge zwischen Brücke, Eldekanalhafen und Bahnhof Dömitz zu rangieren. Am Kaltenhofer Wachblockhaus stand dazu ein „Glockenhaus“ mit einem Signal-Läutewerk. Die Zweigleisigkeit erwies sich allerdings als überflüssig, da die Strecke nie die wirtschaftliche Bedeutung bekam wie angenommen.

1877 begann der Rückbau des zweiten Gleises. 1909-10 entwickelte man Planungen für eine statische Ertüchtigung des Tragwerkes, die jedoch in Folge des 1. Weltkrieges nicht ausgeführt wurden.

1925 und 1932/33 fanden im Auftrag der Deutschen Reichsbahngesellschaft umfassende Ertüchtigungen unter laufendem Zugbetrieb statt. Erneut wurde an der Brücke Ingenieurgeschichte geschrieben. Es kam eine Technik zum Einsatz, die immense ingenieurgeschichtliche Tragweite im Einsatz von geschweißten und geschraubten Verbindungen bekommen sollte.

Ausführende Firma war die Stahlbaufirma Johannes Dörnen aus Derne bei Dortmund. Dr. Ing. Johannes Dörnen galt seiner Zeit als einer der führenden Männer in der Erforschung und Anwendung moderner Baustähle sowie deren Verbindung durch Schweißverfahren. Seine Firma hatte z.B. maßgeblich an den 1926-27 deutschlandweit durchgeführten Versuchen der Deutschen Reichsbahn an genieteten Baustählen teilgenommen.

1945 – Das Ende der Brückenverbindung

Nach der Zerstörung der Brücke im April 1945 gab es keine ernsthaften Versuche, sie wieder aufzubauen. 1978 wurden auf der Westseite mehrere Strompfeiler und 1988 auf der Ostseite Strompfeiler sowie das Brückenhaus bzw. gesprengt – vorgeblich aus Sicherheitsgründen.

Jahrzehntelang blieben die Brückenreste beinahe vergessen stehen. Sie verfielen von Jahr zu Jahr mehr. Erst nachdem der Niederländische Unternehmer Toni Bienemann die Brücke und das umliegende Gelände im Jahre 2010 von der Deutschen Bahn ersteigert hatte, begannen Erhaltungsmaßnahmen.

2012 bis 2023 – Die Brücke wird saniert

2012 wurde der Bereich zwischen den Türmen des Kopfbauwerkes begehbar gemacht. 2017 wurde dann das Mauerwerk des Kopfbauwerkes umfangreich saniert und deren Dächer abgedichtet. 2022/23 wurden umfassende Sanierungsarbeiten an allen Pfeilern und den stählernen Überbauten begonnen. Die größte Herausforderung war die Instandsetzung der 16 aus Naturstein gemauerten Brückenpfeiler. Durch die Unbeweglichkeit der Brückenbögen infolge fehlender Wartung entstanden zahlreiche starke Risse an den Pfeilern, die dann ideale Wuchsbedingungen für Bäume boten, die den Schaden noch einmal vergrößerten. Im Zuge dieser Arbeiten mussten zahlreiche verloren gegangene oder zerstörte Steine ersetzt werden, teilweise zerstörtes Mauerwerk restauriert und alle Fugen in den oberen Bereichen der Pfeiler erneuert werden.

Neben der Sanierung wurde der ehemalige Gleisweg über vier Brückenbögen hinweg begehbar gemacht. Dieser „Skywalk“ ist eine Aussichtsplattform, von der aus man einen weiten Blick über den Fluss und die Landschaft hat. Zwölf weitere Brückenbögen warten noch darauf, ebenfalls zu einer Aussichtsplattform umgebaut zu werden. Die Vorplanungen sind da – wann sie jedoch umgesetzt werden können, ist unklar.

(Quelle: ralf pohlmann : architekten / Machbarkeitsstudie „Natur- und Kulturerlebnis Dömitzer Eisenbahnbrücke“, 2022)

Sanierungsarbeiten

Beginn der Sanierung; eingerüsteter Brückenkopf   Bildrechte: Ralf Pohlmann
Eingerüsteter Brückenkopf zum Beginn der Sanierung
Eingerüstete Strompfeiler während der Sanierung   Bildrechte: Ralf Pohlmann
Eingerüstete Strompfeiler während der Sanierung
Eingerüsteter Strompfeiler während der Sanierung   Bildrechte: Ralf Pohlmann
Eingerüsteter Strompfeiler während der Sanierung
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