Natur und Kultur sehen, hören, spüren
Vielfältige Kultur - eng verbunden mit der Natur
Ein Schwarm Spatzen, der im Tiefflug über die weiten Wiesen saust. Ein Storch, der zwischen weidenden Rindern seelenruhig nach Essbarem pickt. Ein Rotmilan, der über den Köpfen seine Runden dreht. Womöglich erhebt sich ein Seeadler von seinem Ansitz und schwebt majestätisch durch den scheinbar grenzenlosen Himmel.
Solche und ähnliche Erlebnisse machen Besuchende, wenn sie sich Zeit nehmen, die Landschaft rund um die Dömitzer Eisenbahnbrücke zu erkunden. Das Spektakuläre ist hier nicht laut und augenfällig, es liegt in den kleinen Details, in den versteckten Schönheiten.
Die Elbe ist im Bereich des Biosphärenreservats „Niedersächsische Elbtalaue“ ein vergleichsweise naturnaher Strom. Er blieb von Begradigungen und Vertiefungen weitgehend verschont. Von der tschechischen Grenze bis nach Geesthacht hemmen keine Stauwehre das Fließen des Wassers. Zudem sorgen regelmäßige Überschwemmungen der Elbtalaue für ein Nebeneinander von unterschiedlichen Lebensräumen. Man trifft dadurch auf eine Artenvielfalt, die ihresgleichen sucht.
Eine Landschaft der leisen Töne
Weichholzauen, geprägt von Silberweiden und Schwarzpappeln, begleiten die sich gemächlich durch die Landschaft schlängelnde Elbe. Hier haben Seeadler ihre Horste. Graureiher bauen ihre Nester gerne in den hohen Baumkronen von Schwarzpappeln. Mehr zum Elbdeichvorland und seiner Struktur findet sich hier.
Von außen kaum wahrnehmbar herrscht in den großen Schilfgürteln um die kleinen Stillgewässer ein reges tierisches Leben. Libellen lieben die windstillen Bereiche und viele Vogelarten nutzen das dichte Schilf, um ungestört zu brüten und ihre Jungen aufzuziehen. Die meiste Zeit im Jahr sind es die leisen Töne, die den Raum erfüllen: das Zirpen von Heuschrecken, das entfernte Klappern von Störchen auf ihrem Nest oder die pfeifenden Rufe der Rotmilane.
Zu bestimmten Jahreszeiten wird es aber auch laut. Wenn im Herbst und Winter Tausende Zugvögel die Ufer bevölkern, ist die Luft von lautem Schnattern erfüllt. Und zur Laichzeit im Frühjahr vermischen sich die verschiedenen Rufe von Rotbauchunken, Kreuzkröten sowie Laub- und Moorfröschen zu einem vielfältigen Klangteppich.
Nicht nur von der Brücke aus lässt sich Natur erleben. Wer mit wachen Augen und Sinnen an den weitläufigen Grünlandflächen vorbei wandert, wird viele Blumen wie die Grasnelke, die Wiesenglockenblume oder die Margerite entdecken – und zahlreiche Schmetterlingsarten, die sich dort tummeln.
Mehr über die zahlreichen in der Auenlandschaft heimischen Tier- und Pflanzenarten ist hier zu finden.
Die Brückenruine – Heimat für Fledermaus + Turmfalke
Auch die Brückenruine wurde zu einem Lebensraum für eine besondere Flora und Fauna. In feuchten Mauerritzen der Brückenpfeiler siedelte sich der in Norddeutschland seltene Mauerrautenfarn an. In einem der Pfeiler nistet ein Turmfalkenpaar. Und Fledermäuse nutzen die eigens für sie geschaffenen Sommer- und Winterquartiere.
Die Vielfalt der Landschaft in der Elbtalaue und die kulturhistorische Bedeutung der Dömitzer Eisenbahnbrücke machen diesen Raum zu einem faszinierenden Ort, der sowohl Naturliebhaber als auch Geschichtsinteressierte anspricht. Es ist ein Platz, an dem man die Schönheit der Natur genießen und gleichzeitig in die Vergangenheit eintauchen kann.
Dieses haben auch viele Schriftsteller, Filmemacher und andere Künstler erkannt. Die Landschaft steht bei ihnen oft als Synonym für Freiheit und Weite, für Neubeginn und Sehnsucht. Der Blick kann ungestört über die weiten Ufer und den Fluss streifen. Der Himmel erscheint grenzenlos. Er bietet zu allen Jahreszeiten immer wieder ein spektakuläres Schauspiel farbenprächtiger und formenreicher Wolkenformationen. Gleichzeitig stand und steht die Brücke aber auch für Trennung und Zerstörung.
Inspiration für künstlerisches Schaffen
Schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Brücke für Künstler zum Symbol. Der Regisseur Helmut Käutner sah die Elblandschaft nahe der Brücke als Sinnbild für einen Neuanfang in einer vermeintlich unberührten Landschaft. In seinem Film „Film ohne Titel“ zieht ein Drehteam kurz nach dem Zweiten Weltkrieg an das Elbufer bei Kaltenhof, um weit entfernt vom zerstörten Berlin eine neue Filmidee zu erfinden.
Die Grenze zur DDR beschäftigte Wim Wenders, der seine Protagonisten 1976 in seinem Roadmovie „Im Lauf der Zeit“ eine Fahrt entlang der Grenzzäune an der Dömitzer Brücke starten ließ. Wim Wenders bezog die symbolische Bedeutung der Elbe als Verbindung – und Trennung – zwischen verschiedenen Orten und Menschen in seine Geschichte ein.
Als Wenders 1976 seinen Film drehte, ahnte er nicht, dass die Grenze sich 13 Jahre später öffnen würde. Auch wenn die Wiedervereinigung an vielen Stellen für Verbindung sorgte – an diesem Ort hat sich die Wunde der Trennung und Zerstörung als Zeugnis aus Stahl und Stein erhalten. Literaten wie zum Beispiel den wendländischen Schriftsteller Nicolas Born beschäftigte die zerstörte Brücke am Rand der Bundesrepublik ebenfalls.
Zum 125. Jahrestag der Fertigstellung der Brücke initiierte der Künstler Ralf Klement im Jahre 1998 eine groß angelegte Kunstaktion, an der sechs Künstlerinnen und Künstler aus Polen, Großbritannien und Deutschland teilnahmen. Auch Klement war nicht nur von der Monumentalität und formalen Strenge des Bauwerks fasziniert, sondern ebenso von ihrer vielfältigen Bedeutung. „Die alte Dömitzer Eisenbahnbrücke hat als ästhetische Form, Industriedenkmal, historischer Brennpunkt und Interessenblickpunkt seine Bedeutung nicht nur für die Künstler dieser Unternehmung bekommen, sondern sie steht darin auch für die gesamteuropäischen Entwicklungen, die sich in dieser Region zeigen", hieß es damals im Ausstellungskatalog zur Kunstaktion.
Es entstanden mehrere Installationen und Objekte an der und um die Brücke. Unter anderem entwarf die Engländerin Monica Ross eine Briefmarke mit dem Motiv der Brücke sowie einen Stempel, der die Verbindung zwischen Dannenberg und Dömitz betont.
Bis heute erinnert uns die Dömitzer Eisenbahnbrücke an die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland. Sie mahnt uns, daran zu denken, wie wichtig es ist, aus der Geschichte zu lernen und eine gemeinsame Zukunft zu gestalten.